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Die Gewänder der türkischen Künstlerin Azade Köker sind transparent, leer, schwebend. Aus normaler Plastikfolie entwickelt sie figürliche Plastiken und Kleidungsstücke und setzt diese mit Licht so geschickt in Szene, dass die aus Folie gebildeten Kleidungsstücke scheinbar zu Haut werden, zur zweiten Haut, nicht aber zum verhüllenden Kleid. Statt zu verhüllen, legen die nackte Haut verweisen, doch scheinen diese hauchzarten Gebilde selbst aus Haut geformt zu werden eins. Sie werden zur Hülle ohne Inhalt und formulieren so ein Sinnbild zur Verdinglichung des Körpers in der heutigen Gesellschaft. Als wäre der Körper wie ein Kleid: austauschbar in seiner Kollektivität, normiert in seinen Maßen. Azade Köker führt mit ihren transparenten Körpern und Kleidungsstücken vor, das alles letztendlich nur Schein ist, vor allem die äußere Hülle und fragt durch die Abwesenheit des Körpers nach ihm.

 

Elisabeth Hartung, 2001, Zweite Haut, Meran

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Interview mit  Kerstin May

1. Zu der Frage der Transparenz.

Das Leben in Berlin-West als einer Insel. Ein Leben als Illusion.

Der Fall der Mauer war ein sichtbares Ereignis des Unsichtbaren. Man hat einen massiven Abbau der Geschichte erlebt. Wie eine Krankheit oder ein Kriegsende versuchte man die Spuren wegzuwischen.

Berlin war nicht mehr eine Insel. Aber doch.

Wir haben plötzlich die Vergänglichkeit und Fragmentierung im politischen und privaten Leben gespürt.

Der freie Markt hatte keine Hemmungen mehr in Germany und im Osten.

Erste wichtige Folge ist die verstärkte Flüchtigkeit und Vergänglichkeit der Moden, Produkte, Produktionstechniken, Arbeitstechniken, Arbeitsprozesse, Ideen, Ideologien und etablierten Praktiken.

Wir haben das Gefühl in einer Welt erzeugter, vergänglicher zu leben.

Wir leben und denken nur noch in Fragmenten von Zeit, die jeweils auf einer eigenen Bahn davon fliegen und im Null entschwinden. Der Sinn für die Zukunft geht verloren.

Das Bild von Orten und Räumen kann heute ebenso produziert werden wie alles übrige.

Zeit und Raum sind als sinnvolle Dimension menschlichen Denkens und Handels verschwunden.

Die Transparenz, die ich in meiner Arbeit erzeuge, stellt die Vergänglichkeit und die Leere dar.

2. Zu der Frage des Verhältnisses von Absenz und Präsenz im Bereich der Körperlichkeit

Der Körper befindet sich heute in einer fatalen Situation. Er wird gesehen ohne selbst sehen zu können. Der Körper ist als eigene erfundene Anatomie entworfen worden. Er ist sogar zu einem modischen Objekt der Aufmerksamkeit der Medien geworden. Eine durchsichtige Folie, eine Projektionsfläche. Er wird als Puppe, ein Ding, als das Verbotene, Entfremdete begehrt. In meiner Arbeit geht es um diese Grenzbereiche des aktiven Seins und des aktiven Nichtseins.

Der Körper ist überall und nirgendwo richtig.

3. Zu der frage der Körperlichkeit und Sinnlichkeit

Ich kenne eigentlich nur Motive und Formen, die vielleicht zusammen ein Thema bilden. In der Tat verfahre ich nicht dialektisch, sondern strukturalistisch. Das Programm, das ich nehme, ist das Serielle, das sich Wiederholende, das Abgeformte.

Die Ambivalenz ruft bei der transparenten Arbeiten Fragen hervor. Ist es eine Puppe? Ist es ein Mensch? In meinem „Werkbild“ ist dies die zentrale Frage, mit der meine Kunst beginnt. Die Puppe ersetzt den Körper, und sie tauscht mit ihm die Stelle.

Weder Puppe noch Mensch ist mein Thema, sondern die Zwischenbereiche. Aus Puppe kann man keinen Mensch machen, aber umgekehrt schon.

Außerdem evoziert meine Arbeit über Leben und Tod, Gesellschaft und Körper. Illusion, Fiktion, Wahrheit.

4. Verhältnis zwischen plastischem Material und bildnerischer Idee

Meine Arbeit besteht nicht aus der Übersetzung einer Idee oder aus technischen Prozesses. Ich mag es nicht Geschichten zu erzählen, sondern Geschichten werden durch die Zusammenhänge mit unterschiedlichen Faktoren erst hergestellt. Technik und Material und Raum kristallisieren zusammen eine bildnerische Idee.

5. Objekt-Örtlichkeit und Installation-Raum

Die Objekte, die Aura besitzen interessieren mich. Ich möchte sie von ihrem Kontext nicht trennen, höchstens steigern. Oder ich transformiere sie in einen anderen Kontext.

6. Welche Bedeutung trägt für dich das plastische Volumen?

Für Bildhauerei sind Hohlräume genauso strukturbildend wie positiv gefüllte Volumen.

Die leeren Räume sind eine wichtige Dimension in meiner Arbeit. Sie sind nicht die leeren Räume, die gar nichts bedeuten, sondern sie stellen das "noch nicht" und das "nicht mehr" dar, die Zwischensituationen.

Als ich meine erste Blondinenpuppe aus Amerika geschenkt bekam, war ich 5 Jahre alt. Ich wollte wissen, woran es lag, dass die Puppe eine merkwürdige Sprache sprach, wo die Stimme herkam. Ich habe die Puppe zerlegt. Die fremden Materialien, die drin waren, die mit der schönen Puppe keine Kohärenz hatten, habe ich entfernt. So war die Puppe still besaß aber die Leere. Eben diese Leere hat mich später sehr beschäftigt.

Deine Frage nach der Transparenz und Reflexion und Beleuchtung dieser Räume kann ich mit der Faszination leerer Räume beantworten.

Ich möchte die leeren Räume, die ich mit besonderen Material herstelle, sichtbar machen. Mit Beleuchtung bekommt die Arbeit eine ästhetische Dimension. Ausgangspunkt sind die Grenzbereiche zwischen Banalität und Aristokratischem. Die Veränderung der Lichtverhältnisse (z.B. von Tageslicht bis Kunstlicht) schaffen eine Ambivalenz. Wenn das Speziallicht die Figuren von der Rückseite beleuchtet, wird der Charme der Leere, die Idee von Tod und Reinheit verdeutlicht. Das Material funktioniert durch seine Transparenz. Diese Funktion spielt beim Inhalt der Arbeit eine aktive künstlerische Rolle. Wenn die Rückseite nicht beleuchtet wird, ist der Betrachter nur mit der Oberfläche des Materials konfrontiert. Der Reiz ist weg. Rückkehr des Banalen.

7.-Beziehen sich deine Arbeiten immer auf einen bestimmten Raum?

Nein, aber Raum ist alles.

Raum ist im weitesten Sinne Bildhauerei. Es geht immer um die Räume. "die inneren Räume und die äußeren Räume" Die raumbezogenen Arbeiten vermitteln eher sinnliche Erfahrung im Raum. Durch viele Sinnzusammenhänge erzeugen sie auf der Wahrnehmungsebene etwas Neues. Dieses Neue erzeugt wiederum seine eigenen Grenzen und seine eigene Wirklichkeit. In vielen Rauminstallationen werden durch die beiden Wirklichkeitsebenen, Wirklichkeit der Kunst und Wirklichkeit des Ortes Fragen verdichtet, z.B. Fragen nach der gesellschaftlichen und eigenen Realität, Fragen nach der Geschichte und der Gegenwart des Ortes. Dadurch wird die Realität der Gegenwart sichtbarer, spürbarer. Es geht hier um eine autonome Praxis, um reales Handeln in realer Welt. Ein Spiegel wird vor der Nase des Ortes gehalten.

Eine Installation ohne Hantieren mit dem Ort, an der sie sich befindet und ohne dessen Berücksichtigung ist für mich keine Installation, sondern Inszenierung.

Selbst die Galerieräume "white cube" haben einen Ausdruck, mit dem ich mich auseinandersetzen würde.

 

8. Du operierst in deinen Installationen häufiger auch mit anderen Bildmedien........

 

Um die Realität zu simulieren und damit Zeichen zu setzen, ist es eine der Möglichkeiten, die ich durch die Videoproduktion herstelle.

Meine Installationen in realen Räumen nehmen direkten Kontakt mit der Realität auf, meistens kritisch oder philosophisch und setzen Zeichen.

Es geht also in meiner Kunst nicht darum, wie sich das Prinzip Alltag im Kunstkontext bewährt, sondern um die Frage, wie sich das Prinzip Kunst im Kontext alltäglicher Praxis zur Geltung bringt.

Sozial-, Raum- und Zeitbezüge stehen in meiner Arbeit im Mittelpunkt. Mein Interesse bei fast allen Installationen ist es, zu zeigen, wie die unterschiedlichen Raumdimensionen des Sozial- und Zeichenraumes wechselweise durchdrungen werden können. Ich stelle der Wirklichkeit mein eigenes Zeichensystem entgegen und transformiere dieses in einer Form der Inszenierung. Dies ist meine Subjektivität, meine Innerlichkeit. Ich hoffe, daß es mir gelingt, mit meinen Installationen meine inneren und äußeren Realitäten in Zusammenhang zu bringen. Dafür benutze ich alle möglichen ästhetischen Bildmaterialien.

9.-Beziehung zum Denkmal. Monumentalen....

Unsere Zeit hat das so genannte Denkmalsystem hinter sich gebracht. Kunst steht nicht mehr auf dem Sockel, auch die Künstler nicht. Ich glaube die Möglichkeit, die Kunst vor sich haben könnte, könnte höchstens Dekodieren der Denkmale sein.

10. Realität und Bildwirklichkeit

Jeder Gegenstand kann ein Zeichen werden. Wenn ich einen Gegenstand mit einem transparenten Material abforme, verändert sich seine Form nicht aber sein Wesen. Aus dem Verfahren heraus erhalte ich automatisch ein Zeichen. Ich benutze selten die realen Dinge so wie sie sind. Die Spannung zwischen Ding und seiner Zeichenhaftigkeit wäre mir zu einfach und zu direkt. Die Metamorphose der Gegenstände bringen ein Zeichensystem hervor. Dies ist eine weitere Dimension, ein Subtext neben der Hauptlinie. Die Unmöglichkeit der Unterscheidung zwischen Ding und Zeichen in einer Installation und die dadurch erzeugte Spannung interessieren mich nicht.

Ästhetisierung der Lebensräume wird von Designern genug unternommen. Mir geht es nicht darum einen ästhetischen Raum herzustellen, sondern die Raumwirklichkeit als eine neue Realität zu dekonstruieren. Eine Art der Transformation. Hier wird die Arbeit mit neuen Medien als ein künstlerischer Prozess gezeigt. Sie sprengt sozusagen auch die Grenzen zu manchen Bereichen der gesellschaftlichen Realität.

Die sozialen Gesellschaftssysteme um uns herum haben feste Strukturen, die keine Poetik besitzen. Die Kunst ist die einzige Möglichkeit, die Poetik aus den Dingen oder den Zuständen herauszuholen und wesentlich zu machen.

 

Information, d.h. hier die nicht eingeschränkte Vielfalt der möglichen Bedeutungen, steht im Mittelpunkt meiner Kunst. Die Bedeutung; diese wird durch ein eigenes Zeichensystem und nicht durch Alltagsästhetik hergestellt.

 

Mein Anliegen ist es nicht, die vorhandenen Zustände zusammen zu basteln, sondern sie meiner eigenen Welt entgegenzusetzen. Die Serie der "Ungleichungen" ist ein deutliches Beispiel hierfür. Aber auch die Arbeit "berg rücken" bringt die Wirklichkeit und meine Subjektivität in einen Zusammenhang. Dadurch transportieren die Dinge und die Zustände eine Energie im stillen Ausruhen. Die Gegensätze der Ruhe und Unruhe, der Ordnung und Unordnung, des Erlaubten und Verbotenen, des Schweigens und des Schreis haben systematisch wechselhafte Plätze in meiner Arbeit.

 

11. Kultureinflüsse

Berlin ist eine der wichtigsten Großstädte in Deutschland, in der das Nebeneinanderleben unterschiedlicher Kulturen spannungsvoll läuft. Wie die Waren im Supermarkt kommen auch viele Menschen aus unterschiedlichsten Ländern zusammen. Als Türkin hat diese Spannung natürlich mein Werk ganz stark geprägt.

 

12. Feministische Fragen

 

Man muss die Frage vorher stellen: Hat die Kultur ein Geschlecht?

Bis zum zwanzigsten Jahrhundert erschien der weibliche Körper als Bild im öffentlichen Raum. Die Weiblichkeit hat selber in dem Diskurs keinen eigenen Ort. Als Bild ist diese weibliche Figur keine direkte Darstellung real gelebter Weiblichkeit, sondern ein Darstellung männliches Kulturprojekt. Das Dargestellte ist nie deckungsgleich mit der Sache, auf die die Darstellung verweist.

 

Frage: Wie weit ist es heute, dass dieses Bild der Frau und der Körper der Frau zusammengehören?

Ich beschäftige mich sehr bewußt und wach mit dieser Frage.

 

13. Männertradierter Kunstbereich....

 

Ich muss hier erwähnen, dass ich glücklicherweise eine Sozialisation genossen habe, die nicht unbedingt frauenspezifisch bezeichnet werden kann. Die Trennung bei der gesellschaftlichen Rolle der Frau habe ich als Kind und Jugendliche nicht mitbekommen.

Meine Interessen, Aufgaben, Sichtweisen waren nicht spezifisch frauenorientiert, wie es bei den meisten orientalischen Familien der Fall ist. Vorbilder waren für mich zu jener Zeit Männer als denkende Position.

 

Das Gespräch mit

Kerstin May: Bodies of Substance / n. paradoxa, vol. 4, London, 1999, S. 11-

 

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